Praxis für Menschen mit ihren Anliegen Brigitte Schnell

PRAXIS FÜR MENSCHEN

Schreiben

Energized like no others

Ein T-Shirt mit dieser Aufschrift eines Batterieherstellers und eine ausgebeulte Trainingshose. Die ausgeleierten Stellen sind leer, eine halb leere Hose, nicht ausgefüllt, als wäre ihr Träger nicht da, oder bestenfalls nur Teile von ihm.

Lotto-Toto, weil er weiß, dass er nicht gewinnen wird. Auf diese Absagen ist Verlass, immer. Höchstens mal ein Kleingewinn, das kann er riskieren. Jede Woche neu eine fehlgeschlagene Hoffnung. Das stärkt nicht, gibt aber Sicherheit, Verlässlichkeit.

 

,Ich kriege jede Woche, was ich verdiene, was mir entspricht. Ich bin Niemand, und damit das auch so bleibt – Absage! Jede Woche wieder neu und trotzdem zuverlässig.’

 

Der Drei-Tage-Bart wirkt nicht sexy sondern ungewaschen – Alkoholfahne.

Ein Sixpack, drei Kurze und eine Jumbopackung Zigaretten, die Billigsten.

Die Verkäuferin ohne Gesicht an der Tanke fertigt ihn ab, ohne ihn auch nur ein einziges Mal anzusehen. Das mag er, weil er sich auch nicht sehen will. Gesehen zu werden irritiert ihn, macht ihm Angst. Das kennt er nicht.

Bei Nichtbeachtung fühlt er sich wohl, da kann er sich bewegen, ohne sich bemerken zu müssen. Das ist vertraut, unbedrohlich.

Bei Freundlichkeit, sofort Schmerzempfinden. Da schämt er sich. Das macht ihn aggressiv. Angeschaut zu werden, wahrgenommen zu werden – der Horror.

 

Glotz nicht so blöd, oder ich hau dir in die Fresse.

 

Dieser weiche, verstehende, mitleidige Blick, der ihn retten will. Da dreht er sofort durch. Prügelt darauf zu, bis sich nichts und niemand mehr bewegt. So lässt er sich nicht anschauen, von niemandem.

Nie.

 

Der schwarze Asphalt glänzt unter leisen Schritten. Die Bleibe ist ein Loch, es riecht nach kaltem Rauch und Moder. Er macht kein Licht und öffnet das Fenster nicht. Zum einen hasst er frische Luft und zum anderen kommt er ohnehin nicht mehr dran. Er stellt sich vor, was passierte, wenn er den Jackpot gewinnen würde. Wahrscheinlich nichts. Er würde nicht hingehen. Er sieht die verblüfften Gesichter der Lotterie-Oberen vor sich und grinst beinah.

 

Der Fernseher läuft, seitdem der Strom wieder da ist, ganz normal weiter. Er schaut nicht hin, interessiert sich nicht für das Programm, aber die Geräuschkulisse beruhigt irgendwie.

Geradeso, als wäre er im Leben.

Mittendrin.

Völlig geschützt, unabhängig, angstfrei.

So geht es ihm gut.

So von vierzehn bis sechzehn Uhr fühlt er sich am wohlsten. Davor ist Kater, Panik, Unruhe,
Beben … und danach … na, eben irgendwie Watte.

 

Er denkt an die Frau von der Tanke, die er fast täglich zu seiner besten Sendezeit besucht, und fragt sich, ob sie ihn nicht anschaut, weil sie vielleicht heimlich irgendwie in ihn … aber das ist immer erst so gegen Abend, und dann weiß er ohnehin nichts mehr … da steht dann immer dieser Typ … plötzlich in der Tür … vor oder hinter der Tür … so ganz genau kann er das nicht sagen … auf einmal ist er da … er hört ihn nie kommen.

 

Der schaut ihn voll an, direkt, konkret, ja, geradezu durch ihn hindurch … Da stört ihn das nicht, es ist irgendwie etwas anderes, als gehörte es dazu …

 

Der Blick dieser Gestalt nimmt ihn auf, absichtslos, wertfrei und wird so zum Augenblick. Ein Augenblick des Gesehenwerdens, des Erkennens. Ein Augenblick, der Ganzsein schafft durch bedingungslose Annahme.

Ohne Mangel.

Hier stimmt er, geradeso wie er ist.

Und diese Ganzheit erlaubt den Unterschied, den Unterschied zwischen betrachtet und bewertet - oder eben gesehen zu werden. Und in der Möglichkeit dieses Unterschiedes, den das Ganzsein absorbiert liegt die Schutzzone des Seins, in der Richtig und Falsch eins geworden sind, in der Liebe und Hass, Tag und Nacht keinen Gegensatz mehr bilden müssen.

 

„Gehen wir noch ein paar Schritte˝, sagt der Typ an der Tür, allein mittels seiner Präsenz, ohne die Stimme zu erheben oder auch nur die Lippen zu bewegen.

 

… und auch wenn er herumzetert und ihn beschimpft, weiß er, dass er mitkommen wird, bald. Ja.

Sehr bald.