Praxis für Menschen mit ihren Anliegen Brigitte Schnell

PRAXIS FÜR MENSCHEN

Schreiben

Someone's hope

Es war wieder einer von den Tagen, die damit endeten, dass sie zu ihrer Mutter fuhr. Es war wieder einer von den Tagen, an denen er nicht konnte, nicht mehr konnte, weder sprechen noch täuschen. Nichts Liebes säuseln, irgendwas vormachen, austricksen, sich heraushalten, das aber nett und adrett. Es war einer von den Tagen, an denen der Himmel schon vor dem Aufwachen so dick und schwarz verhangen war, dass er nicht nur nicht aufstehen, sondern dass er nicht einmal seine Augenlider heben konnte. Es war einer von den Tagen, an denen gar nichts mehr ging, an denen die sonst so müh- und sorgsam aufrechterhaltene Fassade nur deswegen nicht zerbröckelte, weil sie sich bereits im Vorfeld weigerte sich aufzubauen. Es war einer von den Tagen, an denen er sich wie ein tonnenschwer gestrandeter Wal gefühlt hätte, hätte er nur irgendetwas empfinden können, irgendetwas, ganz egal, er hätte alles genommen. Irgendetwas, das ihn vielleicht in die Position gesetzt hätte zu schreien, den Macker heraushängen zu lassen, ihr mal so richtig den Marsch zu blasen, die Möbel zusammenzuhauen, die Türen knallen zu lassen, zu brüllen wie ein Löwe, mit abgespreizten Oberarmen zu klären, wie das hier zu laufen hatte, und wie eben nicht. Nicht mit ihm. Das hätte ihr gefallen, na ja, jedenfalls besser als das. Ja, alles hätte ihr besser gefallen als das.

Stattdessen ertrank er immer mehr in diesem scheinbar unendlichen schwarzen Loch, und je mehr er sich bemühte sich da herauszuwinden, desto tiefer versank er darin.

Und dabei war sie so unglaublich schön. So richtig attraktiv. Man konnte sich nur glücklich schätzen, wenn man so eine schöne Frau hatte. Und durchaus auch fleißig, oder zumindest einmal in der Lage eine Wohnung schön, modern und zweckmäßig einzurichten. Dabei war ihr ästhetisches Verständnis eher kollektiv als individuell, sodass die Räumlichkeiten ideal zusammen passten, sich anpassten zwischen ihr und der Welt, ihr und ihrem Freundeskreis.  Er lieferte das Geld und den gesellschaftlichen Rahmen einschließlich Namen. Wenngleich er sie noch nicht geheiratet hatte. Darum hatte er sich - bisher erfolgreich - herumgemogelt. „Wenn jetzt ein Standesbeamter aus dem Boden wachsen und in Erscheinung treten würde″, dachte er bei sich, „könnte ich mich nicht wehren″, und wusste, wenn sich wenigstens diese Art von Sarkasmus noch in ihm fand, würde er gegen Nachmittag aufstehen können, um sich zu betrinken.

Und dabei war sie so unglaublich schön. Wenngleich diese Art der Schönheit, die ihr da mitgegeben wurde für diese Welt, nicht ewig würde vorhalten können. Es war, wenn auch eine auffallende, so doch die Schönheit der besten Jahre und die waren ja nun mal begrenzt. Es war die Schönheit der kurzen Blüte, nach deren Verblühen nichts blieb, weil da sonst nichts war, nichts wuchs, sich nichts entwickelte.

Sie war schlank, wenn auch nicht ohne Kurven und trug immer hochhackige Schuhe. Ihre Haare waren lang, aber nicht zu lang und glänzend. Brünett. Sie trug eine kurze Steppjacke mit einem herrlichen Kunstpelzkragen und einen dazu passenden Muff. Den gab es bei Tchibo, letzte Woche. Wenngleich sie es eigentlich nicht direkt nötig hatte, achtete sie sehr auf ihre Ausgaben. Eine Prägung, die schon ihr Beruf einforderte. Sie war Verwaltungsangestellte in einem großen Konglomerat von Alten- und Pflegeheimen. Zwischenzeitlich war sie da stellvertretende Büroleiterin und hatte den Einkauf unter sich, obwohl sie so langsam wirklich lieber geheiratet hätte. Schließlich war sie nun auch schon sechsunddreißig und die meisten ihrer Freundinnen waren verheiratet, oder hatten wenigstens ein Kind.

Und dabei war sie so unglaublich schön. Sie verstand das alles selbst nicht recht. Das war so schmerzlich, weil sie es einfach nicht verstand, einfach nicht verstand inwiefern sie ihm offenbar nicht genügte. Warum? Was machte sie falsch?

 

Er konnte ihr nicht sagen, dass sie gar nichts falsch machte, sondern dass es an ihm lag, an ihm ganz allein. Er konnte ihr nicht sagen, dass er in dieser Art aalglatter „Schöner-Wohnen-Einrich-
tung″  abrutschte, sich nicht wieder fand. Dass er sich vorkam, als würde er im Schaufenster eines renommierten Möbelhauses sitzen. Er konnte ihr nicht sagen, dass er am Sonntagmorgen nicht mit ihr im Partnermorgenmantel frühstücken konnte, nachdem sie schön zusammen mit den dazu passenden Handtüchern gebadet hatten. Er konnte ihr nicht sagen, dass er auf einem doppelten Moltonmatratzenschutz, der absolute Sicherheit gewährte, den sie über ihren Arbeitsplatz so unsäglich günstig erworben hatte und der auf der Matratzenrückseite mit einer Hosenträger-
klammer zusammengehalten wurde, dass er auf so einem Arrangement einfach nicht … boah, nein! … einfach nicht mehr konnte. Auch dann, oder schon gar nicht, wenn die üppigen Rosenornamente der Bettwäsche in schwarz-rotem Satin glänzten. Er konnte ihr nicht sagen, dass er so gerne einen von Hand aufgebrühten Kaffee trinken würde und Milchschaum  hasste, erst recht, wenn der mit einem extra für diesen Zweck angeschafften kleinen Quirli hergestellt wurde. Er konnte ihr nicht sagen, dass er Putzpläne nach Wochentagen nicht ertrug und schämte sich, schämte sich so sehr, wenn er in diese wunderschönen Augen sah, die das alles nicht verstanden, und die sich so unsägliche Mühe gaben, dass alles gut werden sollte – und schön.

„Weißt Du, ich wünschte mir so sehr für Dich, dass Du ein selbstbestimmtes Leben führen könntest und nicht abhängig wärst, von mir! Tu einfach was für Dich. Sorg für Dich. Gönn Dir mal was″, hatte er ihr beispielsweise gesagt, als sie zusammen das Hot-Stone-Set einweihten, das sie als Werbegeschenk über ihren Betrieb herausgehandelt hatte, nachdem sie zuvor in gemeinsam gewonnener Joggingfunktionswäsche eine Runde gelaufen waren. Und so war sie alleine nach Afrika gefahren und hatte ihm unglaublich schöne Bilder vom Kilimandscharo oder von den Viktoriafällen geschickt. Sie war jeden Morgen um sechs Uhr aufgestanden, sonst wäre das Programm, das sie sich vorgenommen hatte, in den acht Tagen ja auch gar nicht zu machen gewesen.

Sie hatte die Freude in seinen Augen gesehen, als er sie vom Flughafen abgeholt hatte, und war voller Hoffnung nun endlich das Richtige getan zu haben. Aber die Freude währte nicht lange. Sie musste einfach Geduld haben und sich Mühe geben. Dann würde es schon werden, irgendwie, irgendwann.

„Das verstehst Du nicht″, antwortete sie ihrem Bruder, der gerade das Haus ihrer Mutter verließ als sie dort ankam.

„Na? Mal wieder depri dein Holgi? Ich bin gespannt, wie lange es noch dauert, bis du dieses kranke Arschloch endlich einmal in die Wüste schickst!″

 

Ihre Mutter dagegen verstand das sehr wohl. Sie wusste, was es hieß, um einen Mann zu trauern. Sie wusste, was es hieß zu warten, geduldig zu sein, und dass es sich auszahlen würde dran zu bleiben, weil alles gut werden konnte, irgendwann, wenn man nur fest genug daran glaubte. Ihr Mann war gegangen. Zu einer Jüngeren. Mein Gott, das war in dem Alter normal. Männer waren da eben unsicherer und ihrer sowieso. Sie musste ihn immer stützen von je her. Aber er wusste, was er an ihr hatte, das spürte sie genau. Und eines Tages würde er zu ihr zurückkehren. Das war immer so. Und so konnte sie ihre Tochter begleiten und trösten. Und schon nach ein paar Tagen ging dann ja auch immer wieder alles seinen Weg.

Man musste nur – … warten können.