Praxis für Menschen mit ihren Anliegen Brigitte Schnell

PRAXIS FÜR MENSCHEN

Schreiben

 

Blind Date oder die Wege des Glücks

 

Wenngleich die Sonne, gütig und warm, vom wolkenarmen Himmel blickt, so freundlich, geduldig, immer und immer wieder das Wirkliche anbietend, mag es doch nicht recht Tag werden.

Er, komplett tätowiert mit dunkelbraunen Armen. Das Tattoo exakt abgeschnitten am Hemdsärmelrand. Die Uhr am Handgelenk, dick. Ein getrimmter Spitzvollbart im gepflegten Silbergrau eines Zwergschnauzers ergänzt die Spießercap. Die stahlblauen Augen eingefasst in dichtem, dunklem Wimpernkranz, streichelt Sie,

barfüßige Spätblondine in rotem Kleid mit Kniehose, blondes, halblanges Haar,  farbloser Typ,

an der verträumten Rückseite ihres Oberarmes,

gezielt zärtlich,

monoton,

systematisch,

vorstellungsgebunden.

An ihrer linken Kopfseite klebt eine Fliege.

Kleinlich war es schon immer, das Glück.

 

„Ein Spiegelei wäre irgendwie gut", sagt sie,

 

als müsste dieses oder Ähnliches vom Himmel fallen, wenn man es nur einmal klar genug ausspräche. Es riecht nach Veränderung, nach Abschied, der sich eingeschlichen hat, unbemerkt.

Unwiederbringlichkeit offenbart sich, scheinbar aus dem Nichts aufsteigend, hämisch, entzieht sich dem Bewusstsein, denn sie kann immer nur als Vollzug wahrgenommen werden, ist vorher nicht greifbar. Man wird stehengelassen. Chancenlos. Das Nicht-Anfassbare, Nicht-Greifbare schlägt zu, demonstriert seine Überlegenheit.

 

„…doch, war echt voll schön, voll das Glück dich zu treffen!"

Der Blick im Smartphone gefangen, gebannt. Unentbehrlichkeit mit Gerät, aber ohne sich selbst. Ein Anker in einer Welt des Nicht-Greifbaren, Halt und Orientierung versprechend. Ein kleines Zaubergerät, das einem immer wieder hilft, sich wegzuorganisieren von einem Ort, an dem man nicht sein kann.

 

„…ja, doch, voll das Glück!"

 

Um sich wegzuorganisieren an einen anderen Ort, der ebenfalls keinen mehr hat, und an dem man auch nicht sein muss. Ortlos.

So kann man wegbleiben, ohne Weg bleiben, weil der Weg nun mal nicht bleiben kann. Eine Wegbleibegarantie. Statt auf dem Weg zu bleiben, oder ihn auch nur zu kreuzen, bleibt man einfach weg.

 

„….ja, hab ich auch gelesen, aber auf Englisch!"

 

Denn der Weg fordert sein Recht. Er meint schließlich nicht Stand oder Stillstand, sondern er bedeutet Fortschritt. Aber in diesem Fortschreiten ohne Weg findet sich kein Platz um innezuhalten, still zu werden, frei zu sein. Ungehetzt von Herkunft und Ziel, freigeschwommen von Wollen und Müssen.

 

„Grundsätzlich hasse ich Leute, die mit Büchern nicht gut umgehen können, oder findest du das etwa kleinlich?"

„Ach, ja, ja", sagt sie,

noch immer ins Smartphone vertieft,

auf der Suche nach einer vernünftigen Anbindung.

Wie kam sie nur aus diesem elenden Nest wieder weg?

„Wie spät haben wir es eigentlich?"

 

Der Blick auf die Uhr,

geschäftig,

beschäftigt,

wichtig.

Der Blick ins Smartphone bestätigt.

 

„Boah, sorry, aber ich muss…"

„…ja, leider bleibt immer so wenig Zeit."

„…nö, meistens bin ich irgendwo unterwegs, entweder in der Stadt oder sonst…"

 

Ja, die Zeit, sie flieht, ist einfach immer so knapp, so kleinlich in ihrem ewig aufdringlichen Mangel, so beschränkt, so begrenzt.

 

„Ich glaube, du hast da was!", sagt er,

 und pflückt ihr die tote Fliege vom Gesicht.

 

Und so,

bleibt eben nur noch das Glück,

denn es ist…

schon immer.